Türsprechanlagen der Firma Siedle sind nicht gerade günstig. Alleine das Haustelefon-Teil kostet in der billigsten weißen Ausführung 100€. Schwarz-Hochglanz/Schwarz schlägt mit 300€ zu Buche und für die Version Gold/Schwarz werden sage und schreibe 600€ fällig.
Für den hohen Preis ist der Inhalt äußerst
schlicht gehalten.
Das untere Gehäuseteil ist hier nicht abgebildet, hat
aber noch weniger Unterhaltungspotential: Es enthält nur einen Klemmblock für
drei Leitungen, in die die Stiftkontakte der gegenüberliegenden Platine beim
zusammenstecken einfahren. Es ist erkennbar, dass dort noch mehr Klemmblöcke
verbaut werden könnten, so dass sich das untere Gehäuseteil auch für andere
Modelle der Reihe verwenden lässt.
Das obere Gehäuseteil enthält außer einer
Platine nichts. Die Verbindung zum Hörer schafft ein vierpoliges Spiralkabel mit
einem Western-Modular-Stecker.
Im Hörer befindet sich ein Lautsprecher, ein Gewicht, ein Magnet und ein Kondensatormikrofon.
Das Mikrofon ist mit einem kleinen Kondensator überbrückt. Vermutlich handelt es sich um eine Anpassung des Frequenzgangs.
Interessant ist wie viel Wert auf eine kostengünstige Fertigung gelegt wurde. Es müssen keine Kabel verlegt und keine Lötarbeiten durchgeführt werden. Alle Teile inklusive der Buchse können in das Gehäuse eingelegt und dann miteinander verschweißt werden.
Die Platine ist so unspektakulär, dass
sich die Bauteil sehr schnell auflisten lassen:
1 SO-16-ASIC, 1
SOT223-MOSFET, 8 Dioden, 2 Suppressordioden, 1 Reedrelais, 1 Potentiometer, 1
Stiftleiste, 1 Buchse, 4 Elektrolytkondensatoren, 9 Keramikkondensatoren, 6
Widerstände
Es handelt sich fast ausschließlich um SMT-Bauteile, wobei die
Stiftleiste und der Potentiometer noch in THT ausgeführt sind.
Diese Platine
kann für 46€ als Ersatzteil von Siedle bezogen werden.
Auf der Vorderseite befinden sich zwei Kunststoffelemente, die die Tasten und den Lautstärkeregler darstellen.
Die kleinen Lötspuren am Potentiometer und an der Stiftleiste sind nicht original und der Grund warum dieses Haustelefon überhaupt zur Zerlegung freigegeben werden konnte...
Es fällt auf, dass sich auf der Platine sehr viele Durchkontaktierungen befinden, die nur die Masseflächen verbinden. Es existieren auch Durchkontaktierungen, die auf der einen Seite ein Potential kontaktieren, auf der anderen Seite aber nicht. Dieser Aufbau lässt grundsätzlich vermuten, dass es sich um eine mehr als zweilagige Platine handelt. Dagegen spricht allerdings, dass außer den zwei Außenlagen schlicht keine weitere Lage benötigt wird, auf den Außenlagen "L1" und "L2" abgebildet ist und auch beim Abschneiden und Schleifen einer Ecke der Platine keine innere Lage erkennbar wird.
In einer Schaltung die mit hohen Frequenzen arbeitet ließen sich zumindest noch die vielen Durchkontaktierungen der Masselage erklären. Hier erscheint es wahrscheinlicher, dass das Bohrprogramm für verschiedene Platinen gleich gehalten wurde. Wählt man ein anderes Layout, so dienen vermutlich mindestens einige der Durchkontaktierungen der Weiterleitung von Potentialen, die in dieser Variante nicht existieren. Grundsätzlich ist zwar die Anzahl von Bohrungen durchaus ein Kostenfaktor bei der Herstellung von Platinen, vielleicht hat man aber hier eine Möglichkeit gefunden die Platinen noch günstiger zur produzieren.
Interessant ist die Art der
Hardware-Varianten-Kennzeichnung. Auf der Platine befinden sich fünf
Bestückplätze, die elektrisch nicht angebunden sind und mit Zahlen von 1 bis 5
markiert sind. Da die Bestückung von Bauteilen an dieser Stelle keinen
elektrischen Zweck erfüllt, muss es sich um eine Kennzeichnung der
Hardware-Variante handeln.
Es ist davon auszugehen, dass der IC, der ein
ASIC ist, verschiedene Konfigurationen enthalten kann und es entsprechend
einfacher ist die Kennzeichnung der Hardware-Variante über eine unterschiedliche
Bestückung und nicht über zum Beispiel einen unterschiedlichen Bestückungsdruck
umzusetzen. Die Bestückung ist je nach ASIC-Auswahl sowieso anzupassen.
Die Verschaltung zeigt wie schlank das Design gehalten wurde. Unter den drei Anschlüssen des Geräts befinden sich ein Massepotential, das Signal der Basisstation (7) an der Haustüre und ein Eingang für eine Etagenklingel (ERT), die natürlich nur optional ist. Die beiden Eingänge sind mit Suppressordioden ausgestattet.
Versorgt wird das Gerät über die
Signalleitung der Basisstation. Da am Pin 7 des ASICs ein Elektrolyt- und ein
Keramikkondensator angebunden ist, kann man davon ausgehen, dass der ASIC aus
der Spannung am Eingang eine interne Versorgungsspannung generiert, die hier
gepuffert wird.
Der Elektrolytkondensator an Pin 5 muss eine Art
Koppelkondensator darstellen, um Signale auf der Zuleitung auskoppeln und
verwerten zu können.
Die Anbindung des Mikrofons über die Kontakte 1 und 3 des Western-Modular-Steckers erscheint recht komplex. Neben weiteren Parallelkondensatoren, einer kapazitiven Kopplung und einer differentiellen Zuführung zum ASIC existiert ein zweiter Pfad mit einem RC-Glied, dass als Tiefpassfilter nur Frequenzen unterhalb von 200Hz weiterleitet.
Der Hörer bildet eine Doppelfunktion ab.
Er gibt das Klingelsignal genauso aus wie das Sprachsignal. Um diese günstige
Kombination darstellen zu können, gibt der ASIC zwei Signale aus.
Das
Klingelsignal durchläuft das Reedrelais, das sicherstellt, dass dieses Signal
nur weitergeleitet wird, wenn der Hörer aufgelegt ist. Ein Potentiometer
ermöglicht die Einstellung des Pegels und damit der Lautstärke des
Klingelsignals. Der Fusspunkt des Potentiometers ist über eine Diode an Masse
angebunden. Die Notwendigkeit dieser Diode erschließt sich nicht. Letztlich wird
der MOSFET ausgesteuert, der als Endstufe für den Hörer dient. Versorgt wird
dieser Transistor über Dioden sowohl aus dem Potential des Pin 7 als auch aus
dem Pin ERT.
Das Audio-Signal gibt der ASIC am Pin 14 aus, an dem sich eine
Diode, ein Pull-Down-Widerstand und ein RC-Glied befindet. Ausgekoppelt wird das
Signal über ein RC-Glied mit einem großen Kondensator direkt in den Lautsprecher
des Hörers. Die geringe Leistung reicht aus, um genug Lautstärke zu erzeugen,
damit das gesprochene Wort direkt am Ohr hörbar wird.
Die zwei Dioden am Gate
des MOSFETs erfüllen auf den ersten Blick keinen Zweck für die Funktion der
Schaltung. Man könnte vermuten, dass sie es ermöglichen sollten über den
dazwischen liegende Testpunkt beide Seiten vermessen zu können. Dagegen spricht
allerdings, dass sich direkt am Gate ein weiterer Testpunkt befindet. Es könnte
sich bei den Dioden auch um Z-Dioden handeln. Wäre dem so, dann könnte sich
dadurch eine Rückkopplung des Klingelsignals zum ASIC ergeben. Der Zweck einer
solchen Rückkopplung lässt sich aber ebenso wenig aufklären.
Die Taster sind ohne Weiteres direkt am ASIC angebunden.
Im Ruhezustand liefert die Basisstation ungefähr 18V an das Haustelefon. Wird die Klingel betätigt, so steigt die Spannung auf etwas über 20V an. Nach einer kurzen Totzeit wird dann der Klingelton ausgegeben. Die Logik beendet den Klingelton, wenn die Basisstation die Spannung am Pin 7 auf einen Pegel zwischen 7V und 8V reduziert. Danach pendelt sich ein Pegel von ungefähr 14V ein. In dieser Phase kann eine Audioübertragung stattfinden.
Nach einem Überstreichen des Chips mit Kreide lässt sich die Beschriftung relativ gut ablesen. Sie lautet: "Nµ 701.30C", "181A 2132A" und "Siedle 10". Bis hier wäre es auch noch denkbar, dass es ich um einen gängigen Mikrocontroller mit einer kundenspezifischen Beschriftung handelt.
Auf der Unterseite finden sich noch die
Zeichen "INDO" und "3B01", welche sich nicht weiter zuordnen lassen.
INDO
könnte theoretisch für ein Backend in Indonesien stehen.
Der enthaltene Chip ist ungefähr 2x3mm groß.
Auf dem Die scheinen 18 Bondpads kontaktiert worden zu sein. Zwei Pads verblieben unkontaktiert.
Es zeigt sich, dass der Chip tatsächlich
ein klassischer ASIC ist.
Rechts der Mitte befindet sich ein Logikblock. Der
Chip muss nicht allzu viele Funktionen darstellen, es verwundert daher nicht,
dass keine gleichmäßige großen Strukturen von Speicherblöcken zu erkennen sind.
Die Funktion eines Mikrocontrollers ist hier nicht notwendig, es reicht, dass
die Logik auf Anforderung einen gewissen Automatismus realisieren kann.
Rechts und links der Logik befinden sich größere Schaltungsblöcke, die
Vermutlich analoge Anteile und Endstufen enthalten und auf die notwendigen
Funktionen zugeschnitten sind.
Im oberen Bereich des Dies findet sich die Bezeichnung E70130C, was der ersten Zeile der Beschriftung auf dem Chip entspricht.
Im unteren Bereich des Dies ist "NEUTRON" zu lesen. Höchstwahrscheinlich wurde der ASIC von der Firma Neutron Mikroelektronik aus Seligenstadt entwickelt, die unter anderem als Dienstleister im Bereich der kundenspezifischen ICs agiert. Die Bezeichnung des ASICs scheint das zu bestätigen. Auf der Neutron-Website wird ein anderes Produkt beworben, dessen Bezeichnung sehr ähnlich ist: Nµ 701.65
In der Mitte des Logikblocks befinden sich
noch weitere Zeichen, die sich aber nicht mehr sauber auflösen lassen. In der
rechten oberen Ecke ist ein "DG" zu erkennen, darunter ist ein "M" dargestellt
und darunter wiederum drei Zeichen. In der linken unteren Ecke ist auf
verschiedenen Hintergründen die Zeichenfolge "HFLU" zu erkennen. Die Strukturen
darüber lassen sich nicht auflösen, sie können höchstens 1µm groß sein.
Es
ist nicht unwahrscheinlich, das sich an dieser Stelle die Entwickler des ASICs
verewigt haben.
Wenn auch sich die Strukturen des Logikblocks nicht vollständig auflösen lassen, so wird doch klar, dass es sich um ein klassisches Gatearray-Design handelt. Es sind Zeilen zu erkennen, die die Logikblöcke enthalten. Zwischen den Zeilen befinden sich Freiräume in denen sich die Verbindungen der Logikblöcke befinden.
Die Strukturen der anderen Schaltungsteile sind etwas zu klein und zu unübersichtlich, um sie sauber analysieren zu können.